Eine Zwischenbilanz

Was passiert eigentlich, wenn in einer Pflegeeinrichtung das Corona- Virus ausbricht, viele Bewohner erkranken oder versterben sogar daran, Mitarbeiter sind infiziert?

Der Schuldige ist schnell gefunden, zumindest wird die Einrichtung unbeabsichtigt zum Gesprächsthema. Die Thesen reichen von „Die halten sich ja nicht an die Hygieneregeln“, „Es wird vom Betreiber nicht ausreichend Schutzkleidung gestellt“, „Die Bewohner laufen eh alle draußen herum“, bis zu „Pflegekräfte fehlen und arbeiten bis zum Umfallen“.

Doch ganz so einfach ist das leider nicht.

Ein Jahr Corona in der Altenpflege und im gesamten Gesundheitswesen haben uns allen viel abverlangt, den Leitungskräften, die den Weg durch den Corona- Dschungel vorgeben müssen, den Mitarbeitern in den Einrichtungen, die täglich den Dienst antreten und eigene Ängste hintenanstellen und nicht zu vergessen auch den Bewohnern, deren Lebenszeit nicht mehr endlos ist. „Nein, dass wir sterben müssen ist uns klar, aber nicht an Corona“, so die Aussage von Bewohnern unserer Einrichtung.

Doch was tun?

Welcher Weg ist richtig? Welche Schutzmaßnahmen sind notwendig, aber nicht über das Ziel hinaus?

Wir wollen kein Corona und das damit verbundene Leid. Niemand will das!

So kämpfen sich alle Einrichtungen tapfer durch sämtliche Corona- Verordnungen, Erlasse der Gesundheitsämter, der Landkreise und dem hauseigenen Hygienekonzept. Wir wollen alles tun, um die Gesundheit und das Leben der Bewohner und Mitarbeiter und somit auch deren Familien zu schützen.

Was fällt nun auf, nach einem Jahr?

Die Bewohner tragen in absoluter Mehrheit die Entscheidungen mit. Essen im Zimmer, Essen zu verschiedenen Uhrzeiten, Essen ohne direkten Nachbarn, Betreuung im Freien, Betreuung in Kleingruppen, Einzelbetreuung, Masken tragen, 2x wöchentlich Antigen- Schnelltests, Besuchsverbot, Besuche nach Termin, Besuche hinter Plexiglas, hin und her, gefühlt jede Woche etwas anderes. Sie sind trotz ihres hohen Alters flexibler, als manche ihrer Angehörigen. Das erstaunt immer wieder und doch, so langsam ist auch ihr Gemüt dünnhäutiger, Tränen fließen öfter, die Frage nach einem selbstbestimmten Leben und nach der noch verbleibenden Zeit wird ein größeres Thema. Alle Bewohner haben hier in der Einrichtung seit 6 Wochen einen vollständigen Impfschutz und doch traut sich niemand die Vorschriften zu lockern. Es gibt zu viele ungeklärte Fragen zu Ansteckung und Übertragung. Niemand kann und möchte die Verantwortung übernehmen. So warten wir alle weiter auf die Vorgaben des RKI’s und der Länder und müssen das, was wir entscheiden selbst verantworten.

Und genau das ist eben auch ein Problem.

Verbale Übergriffe von Angehörigen häufen sich, es wird gedroht was das Zeug hält, mit dem Gesundheitsamt, der Heimaufsicht, dem Sozialministerium, dem Landrat und der Presse. Nein, Angst haben wir davor nicht. Wir stehen zu unseren Maßnahmen und tuen nichts, was nicht auch in allen Verordnungen und Erlassen steht. Daran sind wir gebunden. Manches davon verstehen wir nicht. Manches ist reine Interpretationssache. Die Verfasser dieser Verordnungen sind keine Praktiker. Das steht fest. Wir verstoßen auch nicht gegen Grundrechte und hindern niemanden daran das Haus zu verlassen. Wir sind in Sorge, in Sorge um die Gesundheit aller 86 Bewohner und 95 Mitarbeiter, so wie alle anderen Einrichtungen auch.

Die Gesundheitsämter tuen ihr Möglichstes, manchmal ist es hilfreich und manchmal eben auch nicht. Würde man erzählen, dass ein Mitarbeiter, dessen Kind an Corona erkrankt zu Hause im Bett liegt, trotzdem die Erlaubnis hat in einer Pflegeeinrichtung zu arbeiten, reibt man sich verwundert die Augen. Ja, der PCR- Test ist negativ. Doch wir alle wissen doch, dass das in 5 Tagen anders sein kann.

Manchmal hat es den Eindruck, dass selbst die Ämter dem Druck durch Angehörige nicht gewachsen sind. Statt Unterstützung sucht man faule Kompromisse.

Vergessen wir nicht die Mitarbeiter.

Täglich leisten sie alles Menschenmögliche um die Bewohner gut durch diese schwierige Zeit zu bringen. Sie sind da, wenn niemand da ist, geben Zuversicht, Hoffnung und Mut. Sie kämpfen gegen Menschen, die die Gefahr einer Corona- Infektion noch immer nicht verstanden haben. Es sind diese Menschen, die Leitern an Fenster stellen, um Angehörige zu besuchen, die nicht verstehen, dass wir uns sicherer fühlen, wenn unsere Bewohner hier im Haus besucht werden und nicht mit in die Häuslichkeit mitgenommen werden. Warum? Weil sich schon hier nicht an Maskenpflicht bei Besuchen im Zimmer gehalten wird, weil gemeinsames Kaffeetrinken nun einmal nicht möglich ist und trotzdem die Kaffeekanne ins Haus geschmuggelt wird.

Alle Mitarbeiter werden seit Monaten vor Dienstbeginn mit Schnelltests auf Antigene getestet. Sie desinfizieren, Lüften und tragen während des gesamten Dienstes FFP2- Masken, geduldig, weil sie wissen wofür. Haben Sie schon einmal mehrere Bewohner geduscht und dabei eine FFP2- Maske getragen? Das möchte niemand wirklich und doch bleibt keine Wahl.

Doch wir haben Glück.

95% der Besucher sind sehr wertschätzend, zuverlässig und verständnisvoll. Dafür können wir nur von Herzen danken. Sie tragen selbst die schwierigsten Entscheidungen mit und finden noch immer lobende Worte.

Warum? Auch sie wollen kein Corona und das damit verbundene Leid. Niemand will das!

 

Monique Hillmer
Einrichtungsleitung Haus Philia